BGH-Entscheidung zur Herstellereigenschaft und den Verkehrssicherungspflichten von Händlern
Mit Urteil vom 21.03.2023 (Az: VI ZR 1369/20) hat der BGH der Revision eines Landwirts stattgegeben, der mit seiner Klage Schadensersatz gegen einen Fachbetrieb zur Abfallentsorgung geltend macht. Im Kern hatte sich der BGH hierbei mit der Herstellereigenschaft und den Verkehrssicherungspflichten eines Händlers im Rahmen der Produzentenhaftung aus § 823 Abs. 1 BGB beschäftigt.
Sachverhalt
Ausgangspunkt war die Klage eines Landwirts gegen einen Abfallentsorgungsbetrieb (Beklagte). Die Beklagte hatte im Zuge ihrer gewerblichen Tätigkeit eine mit Herbiziden verunreinigte phosphat- und kaliumhaltige Flüssigkeit von einem Dritten als „Abfall“ übernommen und diese anschließend unter Umbezeichnung in „EG-Düngemittel für Ackerbau“ sowie Erstellung einer entsprechenden Produktinformation als Düngemittel an einen Vertriebshändler verkauft, über welchen die Flüssigkeit schließlich zum Landwirt gelangte. Durch die Nutzung der als Düngemittel gekennzeichneten und verunreinigten Flüssigkeit kam es zu Schäden an dessen Rapspflanzen. Für die daraufhin anfallende Schadensermittlung und ‑beseitigung macht der Kläger Schadensersatz gegenüber der Beklagten geltend.
Händlerpflichten
Für die vorliegend infrage stehende deliktrechtliche Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB ist entscheidend, ob eine mit der Herstellung oder Verteilung einer Ware tätig gewordene Person die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hat. Ob und welche Verkehrssicherungspflichten eine solche Person zu erfüllen hat, orientiert sich maßgeblich daran, in welcher Funktion diese Person tätig wird. Herstellern von Produkten obliegen naturgemäß die umfassendsten Verkehrssicherungspflichten (u.a. Konstruktions- und Fabrikationspflichten). Händler von Produkten haben dagegen nur eingeschränkte Verkehrssicherungspflichten, insbesondere keine Pflichten hinsichtlich der Konstruktion und Fabrikation. Daher scheidet eine Haftung von Händlern im Rahmen der Produzentenhaftung für Konstruktions- und Fabrikationsfehler grundsätzlich aus.
Herstellereigenschaft von Händlern
Händler von Produkten können jedoch aufgrund ihrer Tätigkeit im Einzelfall auch zu Herstellern im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB mit entsprechend umfassenderen Verkehrssicherungspflichten werden. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Händler Änderungen am Produkt vornehmen.
Im vorliegenden Fall hatte das OLG Koblenz als Vorinstanz die Herstellereigenschaft der Beklagten noch abgelehnt, weil gerade keine Änderungen an der Flüssigkeit vorgenommen wurden. Der BGH hat die Herstellereigenschaft der Beklagten dagegen bejaht. Der BGH begründete dies damit, dass die Beklagte die Flüssigkeit selbst als „Abfall“ übernommen hat und anschließend als „EGDüngemittel für Ackerbau“ mit entsprechender Produktinformation weiterveräußerte. Damit hat die Beklagte nach der Ansicht des BGH, trotz fehlender Änderung an der Flüssigkeit selbst, ein neues Erzeugnis geschaffen. In der Folge ist die Beklagte als Herstellerin einzustufen, weshalb ihr auch die entsprechend umfassenderen Verkehrssicherungspflichten obliegen.
Ob und inwiefern die Feststellung (und in der Folge auch die Vermeidung) der Verunreinigung der Flüssigkeit Teil der umfassenderen Verkehrssicherungspflichten der Beklagten war, ist nun Aufgabe des Berufungsgerichts (OLG Koblenz), das die Sache infolge des BGH-Urteils neu zu verhandeln und zu entscheiden hat. Klar ist jedoch, dass entgegen der vorherigen Berufungsentscheidung ein strengerer Maßstab an die Sorgfaltspflichten der Beklagten zu stellen ist.
Fazit
Praktische Auswirkungen hat das Urteil insofern, dass Händler sich der Möglichkeit bewusst sein müssen, dass sie auch ohne tatsächliche Änderung an einer Sache produkthaftungsrechtlich als Hersteller klassifiziert werden können, wenn die sonstigen Umstände eine entsprechende Annahme zulassen. Dies kann wie im vorliegenden Fall beispielsweise durch eine Zweckänderung der betreffenden Sache erfolgen, die zur Schaffung eines neuen Erzeugnisses führt.
Auch ohne Herstellereigenschaft sollten Händler jedoch berücksichtigen, dass ihnen Prüfpflichten im Hinblick auf die von ihnen vertriebenen Produkte obliegen können. So ist eine Untersuchung der Produkte durch Händler immer dann geboten, wenn aus besonderen Gründen Anlass zur Kontrolle besteht, weil beispielsweise bereits Schadensfälle aus der Produktverwendung bekannt geworden sind oder die Umstände des Einzelfalls eine Überprüfung nahelegen (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 11.12.1979 – VI ZR 141/78, NJW 1980, 1219).
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