Der Brexit hat branchenübergreifende Auswirkungen und trifft somit auch Medizinproduktehersteller, ihre Vertriebsmöglichkeiten in Großbritannien sowie die Einfuhr von Medizinprodukten in die EU-27. Die Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen in welchem Ausmaß die Branche treffen, hängt ganz wesentlich davon ab, ob es sich um einen “hard Brexit” oder “soft Brexit” handeln wird.
Für den Fall eines “hard Brexit” hat die britische Arzneimittelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) neue Richtlinien für solche Medizinprodukte veröffentlicht, die ab dem 01.01.2021 in Großbritannien (und Nordirland und der EU) auf den Markt gebracht werden. Nach einem “hard Brexit” ohne Abkommen wird das Vereinigte Königreich als Drittstaat betrachtet werden. Das heißt, dass in Großbritannien ansässige Hersteller von Medizinprodukten einen europäischen Bevollmächtigten mandatieren müssen, der in der EU-27 ansässig ist. Diese Beauftragung kann ein zeitintensiver Prozess werden. Hinzu kommt, dass ab dem 01.01.2021 die in Großbritannien (noch) ansässigen Benannten Stellen auch keine CE-Kennzeichnungen mehr ausstellen dürfen. Ab Geltungsbeginn der MDR am 26.05.2021 bedarf es einer Kooperation mit einer MDR-akkreditierten Benannten Stelle mit Sitz in der EU-27. Die Einfuhr der Produkte in die EU-27 folgt den Regeln des Imports aus einem Drittland. Für die Einführer gelten die Pflichten der Importeure nach MDR (PDF), die über die Pflichten reiner Händler hinausgehen.
Umgekehrt gilt allerdings das Gleiche für den Zugang von britischen Produkten auf den europäischen Markt.
Hersteller mit Sitz außerhalb des Vereinigten Königreichs müssen im Zusammenhang mit den neuen Registrierungsanforderungen eine britische verantwortliche Person (UK Responsible Person) benennen. Die Kooperation mit einem britischen Partner ist damit künftig essenziell für die Marktfähigkeit europäischer Medizinprodukte in Großbritannien. Die Benennung einer UK Responsible Person muss zum 01.01.2021 erfolgt sein. Für die Registrierung bei der MHRA gilt eine Übergangsfrist, die an den vorgesehenen Zeitrahmen der Produktregistrierung der Produkte der einzelnen Risikoklassen angeglichen ist. Eine wesentliche Verantwortlichkeit der UK Rep besteht gerade in dieser Registrierung des nicht im Vereinigten Königreich ansässigen Herstellers und seiner Produkte. Weitere in der Richtlinie beschriebene Verantwortlichkeiten stimmen im Wesentlichen mit der Rolle des MDR- und IVDR-autorisierten Vertreters überein. Beispielhaft sei genannt die Sicherstellung, dass die Konformitätserklärung und die technische Dokumentation vorhanden sind, oder das Bereithalten von Kopien der entsprechenden Dokumente und Zertifikate. Nach der Übergangsfrist für die Geltung der CE-Kennzeichen in Großbritannien (Ende: 30.06.2023) ist für die Produkte außerdem eine UKCA-Mark (=UK Conformity Assessed marking) notwendig.
Handelt es sich jedoch um ein Produkt, das sowohl der EU-Gesetzgebung als auch der neuen britischen Gesetzgebung entspricht, sei es nach dem 01.07.2023 wohl auch akzeptabel, dass ein Produkt sowohl CE- als auch UKCA-gekennzeichnet ist. Wie eine solche doppelte Kennzeichnung in der Praxis ausgestaltet wird, insbesondere welche Daten auf der UKCA-Mark angebracht werden, wird noch herauszuarbeiten sein. Hervorzuheben ist der bisher ausgehandelte Sonderstatus für Nordirland: aufgrund der offenen Grenze zur Republik Irland war bisher vorgesehen, dass dort auch künftig EU-Regularien gelten. Es wurde eine Sonderregelung und ein eigenes UK(NI)-Zeichen entwickelt, dessen gemeinsame Verwendung mit dem CE-Kennzeichen angedacht war. Produkte mit UK(NI)-Zeichen sollen nur in UK und Nordirland am Markt sein, nicht jedoch im Rest der EU. Demgegenüber wird das CE-Kennzeichen sowohl in Nordirland als auch im Rest der EU anerkannt, jedoch nach dem 30. Juni 2023 nicht mehr in Großbritannien.
Ob die Sonderregelung tatsächlich kommt, ist mit dem dem sogenannten “Internal Market Bill”, dem Gesetz, das am 09.09.2020 ins Parlament eingebracht wurde, nicht absehbar. Die EU bereitet gegen Großbritannien derzeit ein Klageverfahren vor, weil sie im Internal Market Bill einen Verstoß gegen das gemeinsam verhandelte Austrittsabkommen sieht. Letztlich sind nach den festgefahrenen Brexit-Verhandlungen die Frage nach einem harten oder weichen Brexit einschließlich der daraus resultierenden Folgen weiter offen. Es bleibt abzuwarten, ob das von Boris Johnson zuletzt gesetzte Ultimatum für ein unterschriftsreifes Handelsabkommen zum 15. Oktober 2020 ausreichen wird, um einen harten Brexit noch abzuwenden.
Der Text gibt den Stand der Debatte zum 11.10.2020 wieder. Wir bleiben dran und halten Sie auch weiterhin auf dem Laufenden.
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