Nach wie vor gelten derzeit für Herstellung von und Handel mit Medizinprodukten die bekannten europäischen Richtlinien:
90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte (AIMD), 93/42/EWG (PDF) über Medizinprodukte (MDD) und 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD). Ihre Umsetzung in nationales Recht erfolgt in Deutschland durch das Medizinproduktegesetz (MPG) sowie untergesetzliche Verordnungen.
Die geltenden Richtlinien werden nach Ablauf verschiedener Übergangsfristen durch die beiden bereits in Kraft getretenen europäischen Verordnungen, VO (EU) 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) und VO (EU) 2017/746 für In-vitro-Diagnostika (IVDR), abgelöst. Aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie wurde der Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 verschoben. Mit Geltungsbeginn der Verordnung bedarf es keiner Umsetzung mehr in nationales Recht, sodass das MPG in seiner jetzigen Form keinen Bestand haben wird. Es wird mit Geltungsbeginn der MDR abgelöst durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) (PDF).
Da ab dem 26. Mai 2021 die Regeln der MDR verbindlich gelten werden, gehen die zuständigen Aufsichtsbehörden bereits jetzt mit dem Wissen darum an die Produktüberwachung heran. Insbesondere für Hersteller von Medizinprodukten der Klasse I wird es nach dem 26. Mai 2021 keine weitere Übergangsfrist mehr geben. Klasse-I-Produkte müssen ab diesem Stichtag den Anforderungen der MDR genügen!
Nachfolgend sind daher die für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten der Klasse I nach MDR (basierend auf dem beigefügten Medical Device Coordination Group (MDCG)-Guidance-Dokument) (PDF) erforderlichen Schritte abgebildet:
1. Feststellung, dass es sich um ein Medizinprodukt handelt
Dies ist beispielsweise im Hinblick auf medizinischen Mund-Nasen-Schutz / OP ‑Masken der Fall.
2. Überprüfung, ob das Produkt korrekt als Klasse-I-Produkt klassifiziert wurde
3. Sicherstellung, dass die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhangs I der MDR erfüllt sind
Hier ist insbesondere eine Risiko-Nutzen-Analyse im Rahmen des Risikomanagements vorzunehmen. Zum Nachweis der Anforderungen können harmonisierte Normen und Common Specifications herangezogen werden.
4. Erstellen einer klinischen Bewertung
Die MDCG betont explizit, wie wichtig der MDR die klinische Bewertung ist und dass die MDR darauf besteht, dass der Hersteller – gerade auch für Klasse-I-Produkte – alternative Produkte analysieren und vergleichen, Post-Market-Daten berücksichtigen, die Akzeptanz des Nutzen-Risiko-Verhältnisses auf Basis klinischer Daten nachweisen und klinische Prüfungen durchführen muss, wenn/falls die vorliegende Datenlage in Form klinischer Daten oder auch Leistungsdaten nicht ausreichend ist.
5. Erstellen einer Technischen Dokumentation
Auch Hersteller von Medizinprodukten der Klasse I müssen die technische Dokumentation konform den MDR-Anhängen II und III erstellen. Die MDR hat im Vergleich zu den bislang geltenden Richtlinien diverse Änderungen eingeführt. So muss die Klassifizierung begründet und eine Basis UDI-DI vergeben werden. Sofern es sie gibt, ist ein Verweis auf Vorgängerprodukte und ähnliche Produkte erforderlich. Ebenso ist auf angewendete und nach MDR gültige harmonisierte Normen und “Common Specifications” zu verweisen. Das Post-Market-Surveillance-System muss beschrieben werden.
6. Vorbereitung der Gebrauchsanweisung und Kennzeichnung
Für Klasse-I-Produkte ist ausnahmsweise ein Verzicht auf die Gebrauchsanweisung möglich, sofern nach Anhang I Kapitel III Ziffer 23.2 (d) MDR eine sichere Anwendung der Produkte ohne Gebrauchsanweisung gewährleistet ist. Ist eine Gebrauchsanweisung erforderlich, sind die Sprachanforderungen der Länder zu beachten. Hinsichtlich der Kennzeichnung sind Symbole der harmonisierten Normen / Common Specifications zu beachten. Das Produkt muss als “Medizinprodukt” bezeichnet sein.
7. Etablieren eines QM-Systems
Der Hersteller – auch von Klasse-I-Produkten – muss ein QM-System etablieren und aufrechterhalten. Hinzu kommt die Anforderung, eine für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person nach Artikel 15 MDR zu etablieren.
8. Erstellen der Konformitätserklärung (einschließlich Übersetzung in Landessprachen der Vertriebsländer)
9. Anbringung der CE-Kennzeichnung
10. Registrierung von Produkt und Hersteller in DIMDI (künftig EUDAMED-Datenbank)
11. Implementierung eines Post-Market-Surveillance-Systems
Die MDR verpflichtet die Hersteller zu einem Post-Market-Surveillance-System, das Teil des QM-Systems ist. Für Medizinprodukte der Klasse I müssen die Hersteller einen “Bericht über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen” erstellen, auf Englisch “Post-Market Surveillance Report”.
12. Implementierung eines Vigilanzsystems
Nach MDR sind die Hersteller auch von Klasse-I-Produkten verpflichtet, “Field Safety Corrective Actions” (FCSA) zu melden. Solange die EUDAMED nicht in Betrieb ist, werden diese Meldungen in Deutschland an das BfArM gerichtet. Später werden diese Meldungen in der EUDAMED erfasst. Abgesehen von den bereits bestehenden Meldepflichten ist der Hersteller bei Kenntnis von nicht-konformen Produkten verpflichtet, Korrekturen bzw. korrektive Maßnahmen zu ergreifen.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Anforderungen der MDR sind auch und gerade im Hinblick auf Medizinprodukte der Klasse I nicht trivial. Insbesondere führt auch für sie – entgegen weit verbreiteter anderer Ansichten vieler Wirtschaftsakteure – an der klinischen Bewertung kein Weg vorbei. Hersteller sind gut beraten, die Corona-bedingte Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR jetzt noch zu nutzen, um ihr Unternehmen sowie ihre Produkte MDR-konform aufzustellen.
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