Mit dem Urteil des EuGH vom 07.07.2022 wird der Herstellerbegriff der Produkthaftungsrichtlinie weiter konkretisiert, was im Zuge der verbraucherschützenden Linie des EuGH zu einem größeren Kreis von Haftungssubjekten führt. Demnach kann ein Unternehmen schon dann als Quasi-Hersteller haften, wenn es lediglich seinen Namen oder seine Marke auf dem Produkt anbringt oder die Anbringung zugelassen hat, ohne sich gesondert als Hersteller auszugeben. Somit kann allein das Anbringen bzw. die Billigung des Anbringens des Namens oder eines anderen Erkennungszeichens auf dem Produkt eine verschuldensunabhängige Produkthaftung auslösen – sogar in den Fällen, in denen der tatsächliche Hersteller ebenfalls angebracht wurde.
Im Verfahren legte der finnische oberste Gerichtshof dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, inwiefern Markenkennzeichnungen auf dem Produkt zu einer Herstellerhaftung im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie führen können. Ausgangspunkt war der Brand einer Kaffeemaschine der Marke Koninklijke Philips, dessen Schaden der geschädigte Verbraucher gegenüber Koninklijke Philips geltend machte. Die Kaffeemaschine wurde jedoch tatsächlich von dem Unternehmen Saeco hergestellt. Auf dem fertigen Produkt war neben dem Firmenkennzeichen von Saeco auch das von Koninklijke Philips angebracht.
Die Produkthaftungsrichtlinie, die mit dem deutschen Produkthaftungsgesetz in nationales Recht umgesetzt worden ist, sieht zwei Varianten vor, die ein Unternehmen als Hersteller i.S.d. des Gesetzes qualifizieren: Zunächst wird von dem Herstellerbegriff des Art. 3 Abs 1 Alt. 1 der ProdHaft-RL das Unternehmen erfasst, welches das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt tatsächlich herstellt. Weiterhin wird gemäß Art. 3 Abs. 1 Alt. 2 ProdHaft-RL auch der sog. Quasi-Hersteller erfasst, der sich lediglich als Hersteller ausgibt, indem er seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt und damit eine Verantwortlichkeit anzeigt. Es reicht aus, dass sich das Unternehmen durch Anbringen seiner Kennzeichnung als Hersteller ausgibt und gegenüber dem Verbraucher den Eindruck erweckt, am Herstellungsprozess beteiligt gewesen zu sein. Tatsächlich muss dies aber nicht der Fall sein. Mit der Verwendung der Angaben auf dem Produkt nutzt das Unternehmen auch seine Bekanntheit, um dieses für den Verbraucher attraktiver zu machen. Daraus folgt jedoch auch, dass das Unternehmen für das Produkt haften muss. Bisher wurde eine Quasi-Herstellereigenschaft verneint, wenn der tatsächliche Hersteller klar ausgewiesen und erkennbar war, bspw. mit einer Formulierung „produced by“ kenntlich gemacht wurde.
Dies könnte bedeuten, dass in Zukunft im Rahmen von Markenlizenzierungen der Lizenzgeber stets als Quasi-Hersteller anzusehen ist, da er das Anbringen seines Namens zulässt. Gleichzeitig wirft das Urteil die Frage auf, ob alle Wirtschaftsakteure, die aufgrund einschlägigen EU-Rechts zur Kennzeichnung auf dem Produkt verpflichtet sind, nun als Quasi-Hersteller angesehen werden, wenn dessen Rolle als Wirtschaftsakteur nicht ausreichend auf dem Produkt gekennzeichnet ist. Dies könnte bspw. aufgrund der produktsicherheitsrechtlichen Marktüberwachungsverordnung bei Wirtschaftsakteuren wie dem Bevollmächtigten oder Fulfilment-Dienstleister der Fall sein, die dazu verpflichtet sind, ihren Namen und ihre Adresse zur Rückverfolgbarkeit des Produkts anzugeben. Gleiches gilt auch bei Konzernbeziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, sodass regelmäßig die Konzernmutter als Inhaberin der Markenrechte mit einer Beanspruchung als Quasi-Hersteller zu rechnen hat.
Geben sich mehrere Unternehmen als Hersteller aus, kann der Verbraucher entscheiden, welches Unternehmen er als Hersteller im Rahmen der Produkthaftung in Anspruch nimmt und von diesem aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung in Art. 6 ProdHaft-RL den vollen Schadensersatz verlangen. Dem Verbraucher ist es gerade nicht zuzumuten, den tatsächlichen Hersteller zu ermitteln. Der Herstellerbegriff soll daher zum Schutz des Verbrauchers möglichst weit betrachtet werden.
Fazit
Dieses Urteil festigt den bereits jetzt schon stark verbraucherschützenden Kurs des EuGH weiter und wird in der Praxis beachtliche Folgen haben, da es zahlreiche Geschäftsmodelle und Wirtschaftsakteure betrifft. Selbst eine ausdrückliche Differenzierung auf dem Produkt, wonach hervorgeht, welches Unternehmen das Produkt tatsächlich hergestellt hat, führt zu der Annahme einer Quasiherstellerschaft. Nach dem Urteil kann jedes Unternehmen, das seine Marke auf dem Produkt bzw. der Verpackung angebracht hat, produkthaftungsrechtlich in Anspruch genommen werden. Das Urteil des EuGH ist für die Mitgliedstaaten und Gerichte bindend, daher ist Unternehmen anzuraten, entsprechende Geschäftsmodelle zu überdenken, anzupassen und im Rahmen der Vertragsgestaltung im Innenverhältnis bestmögliche sachgerechte Haftungsregelungen zu schaffen.
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