Der nahe Geltungsbeginn der Medical Device Regulation (PDF) am 26. Mai 2020 hält die Medizinproduktebranche derzeit in Atem. Hersteller klassischer Medizinprodukte nutzen die Übergangsfrist seit Inkrafttreten der MDR bereits, um ihre Unternehmen, Prozesse und Produkte MDR-compliant aufzustellen und so einem drohenden Inverkehrgabe-/Vertriebsstopp für nicht konforme Produkte zu entgehen.
Die MDR gilt aber nicht nur für “klassische” Medizinprodukte. Artikel 1 Absatz 2 MDR in Verbindung mit Anhang XVI MDR schließt explizit auch Produktgruppen OHNE medizinische Zweckbestimmung mit ein. Damit sind auch Hersteller, Importeure und Anwender von der MDR betroffen, deren Produkte bisher nicht von medizinprodukterechtlichen Bestimmungen reguliert waren.
Für die Produkte gemäß Anhang XVI gelten also insbesondere auch die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen an “klassische” Medizinprodukte. So darf bei ihrer Verwendung entsprechend ihrer Zweckbestimmung sowie unter Wahrung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit und Sicherheit von Anwendern kein Risiko oder kein höheres als das höchstzulässige Risiko ausgehen.
Außerdem gilt für die in Anhang XVI genannten Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung ebenso wie für “klassische” Medizinprodukte die Anforderung, ihren klinischen Nutzen nachzuweisen. Die klinischen Bewertungen dieser Produkte haben auf der Grundlage einschlägiger Daten zur Sicherheit, einschließlich der Daten aus der Überwachung nach dem Inverkehrbringen, der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen und gegebenenfalls der spezifischen klinischen Prüfung, zu erfolgen. Auf die Durchführung klinischer Prüfungen kann auch im Hinblick auf die in Anhang XVI genannten Produktgruppen nur dann verzichtet werden, wenn es ausreichende Gründe dafür gibt, auf bereits vorhandene klinische Daten zu einem analogen Medizinprodukt zurückzugreifen.
Anhang XVI MDR beinhaltet ein Verzeichnis der Gruppen von Produkten ohne medizinischen Verwendungszweck, für den die Regeln der MDR ab dem 26. Mai 2020 zwingend gelten. Betroffen sind die folgenden Produktgruppen:
- “Kontaktlinsen oder andere zur Einführung in oder auf das Auge bestimmte Artikel
- Produkte, die dazu bestimmt sind, durch chirurgisch-invasive Verfahren zum Zwecke der Modifizierung der Anatomie oder der Fixierung von Körperteilen vollständig oder teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden, mit Ausnahme von Tätowierungs- und Piercingprodukten
- Stoffe, Kombinationen von Stoffen oder Artikel, die zur Verwendung als Gesichts- oder sonstige Haut- oder Schleimhautfüller durch subkutane, submuköse oder intrakutane Injektion oder andere Arten der Einführung bestimmt sind, mit Ausnahme derjenigen für Tätowierungen
- Geräte, die zur Reduzierung, Entfernung oder Zersetzung von Fettgewebe bestimmt sind, wie etwa Geräte zur Liposuktion, Lipolyse oder Lipoplastie
- Für die Anwendung am menschlichen Körper bestimmte Geräte, die hochintensive elektromagnetische Strahlung (Infrarotstrahlung, sichtbares Licht, ultraviolette Strahlung) abgeben, kohärente und nichtkohärente Lichtquellen sowie monochromatisches Licht und Licht im Breitbandspektrum eingeschlossen, etwa Laser und mit intensiv gepulstem Licht arbeitende Geräte zum Abtragen der oberen Hautschichten (“skin resurfacing”), zur Tattoo- oder Haarentfernung oder zu anderen Formen der Hautbehandlung
- Geräte zur transkraniellen Stimulation des Gehirns durch elektrischen Strom oder magnetische oder elektromagnetische Felder zur Änderung der neuronalen Aktivität im Gehirn”
(Anhang XVI, EU-Verordnung 2017/745)
Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Liste noch erweitert wird. Die Kommission ist befugt, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um der Liste des Anhangs XVI weitere Produktgruppen hinzuzufügen. Dies gilt in Fällen, in denen die Ähnlichkeit eines in Verkehr gebrachten Produkts mit medizinischer Zweckbestimmung und eines Produkts ohne medizinische Zweckbestimmung in Bezug auf ihre Merkmale und die damit verbundenen Risiken dies rechtfertigt.
Hersteller, Importeure und Händler der in Anhang XVI MDR genannten Produkte müssen sich also darüber im Klaren sein, dass ihre Unternehmen und Produkte an den Regeln der MDR gemessen werden. Für sie gelten die Pflichten der Wirtschaftstakteure im Sinne der MDR. Die fehlende Konformität von Produkten mit den medizinprodukterechtlichen Regeln kann letztlich zum Inverkehrgabe- oder Vertriebsstopp, fehlende MDR-Compliance zur deliktischen Haftung neben der Produkthaftung führen.
zurück