Eine Herkulesaufgabe für die gesamte Lieferkette
Neue Anforderungen an die Kreislaufwirtschaft für Fahrzeuge werden nicht nur die Automobilhersteller, sondern mittelbar auch deren Zulieferer fordern.
Am 13.07.2023 hat die EU-Kommission den Vorschlag über eine Verordnung über „Anforderungen an die kreislauforientierte Konstruktion von Fahrzeugen und über die Entsorgung von Altfahrzeugen (…)“ unterbreitet (COM(2023) 451 final). Ziel des Vorschlags ist es, die Fahrzeugherstellung als einen der ressourcenintensivsten Wirtschaftszweige mit Blick auf die Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen und den daraus folgenden Rohstoffbedarf neu und nachhaltiger zu regeln. Bislang werden Nachhaltigkeitsanforderungen über das Typgenehmigungsrecht von der Richtlinie 2005/64/EG adressiert und die Behandlung von Altfahrzeugen durch die Richtlinie 2000/53/EG geregelt. Dies soll nun zusammengeführt werden.
Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Bevor nachstehend auf die wesentlichen Inhalte des Vorschlags eingegangen wird, ist zu erwähnen, dass der Gesetzgebungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Es hat bislang kein Trilog-Verfahren gegeben. Über 1400 Änderungen des Kommissionsvorschlags unterbreiteten die Ausschüsse ENVI und IMCO des Europäischen Parlaments, das plant, im September dieses Jahres in einer ersten Lesung abzustimmen. Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sprach sich im März 2024 für „noch ehrgeizigere Ziele“ aus (C/2024/1593). Die allgemeine Ausrichtung des EU-Rates wurde am 11.06.2025 veröffentlicht und liegt den nachstehenden Ausführungen zugrunde (Rat der Europäischen Union, 10092/25). Eine Verabschiedung des Vorschlags oder einer angepassten Version könnte noch in diesem Jahr erfolgen.
Welche Fahrzeuge erfasst sein sollen
In der aktuellen Fassung zählt der Vorschlag über 100 Erwägungsgründe, fast 60 Artikel und 13 Anhänge. Erfasst werden sollen Fahrzeuge der Klassen M1 (Pkw) und N1 (leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 t). Bis zu fünf Jahre nach Inkrafttreten sollen schrittweise weitere Fahrzeugklassen dem Anwendungsbereich unterfallen (auszugsweise: M2, M3, N2, N3, O, L1e – L7e).
Kreislauffähigkeit
Nach Art. 4 Abs. 1 des Entwurfs sollen Fahrzeuge, die sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung typgenehmigt werden, zu einem Massenanteil von mindestens 85 % wiederverwendbar oder recyclingfähig und zu einem Massenanteil von 95 % wiederverwendbar oder verwertbar sein. Wiederverwendung soll Vorgänge bezeichnen, bei denen Altfahrzeugteile oder ‑bauteile wieder zu dem gleichen Zweck verwendet werden, für den sie entworfen wurden, wohingegen Verwertbarkeit die Verwertung von Teilen, Bauteilen oder Werkstoffen aus Altfahrzeugen umfasst. Recyclingfähigkeit soll die Möglichkeit des Recyclings von Teilen, Bauteilen oder Werkstoffen aus Altfahrzeugen bezeichnen.
Altfahrzeuge sind dabei nur solche, die entweder Abfall im Sinne des Art. 3 Nr. 1 RL 2008/98/EG („(…) Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt (…)“) oder solche im Sinne des Anhang I des Entwurfs, was eine Bewertung durch Kfz-Sachverständige voraussetzt.
Berechnet werden sollen die Wiederverwendbarkeit, die Recyclingfähigkeit und die Verwertbarkeit entweder nach einer Methode, die durch die Kommission im Wege eines Durchführungsrechtsakts festlegt, oder – solange ein solcher nicht in Kraft getreten ist – gemäß ISO-Norm 22628:2002 in Verbindung mit Anhang II Teil A des Entwurfs.
Hersteller sollen hierfür alle erforderlichen Daten aus der gesamten Zulieferkette, insbesondere zu Art und Masse aller verwendeten Werkstoffe, und alle geeigneten Fahrzeugdaten erfassen. Sie sollen zudem die „Richtigkeit und Vollständigkeit“ der von Zulieferern erhaltenen Informationen prüfen und Teile und Bauteile, die aus Polymeren oder Elastomeren bestehen kennzeichnen (Art. 12 des Entwurfs).
Stoffanforderungen
Art. 5 des Entwurfs sieht vor, dass besorgniserregende Stoffe so weit wie möglich zu minimieren sind. Die Beschränkungen der REACH-VO und der POP-VO sollen weiterhin gelten. Nach Art. 5 Abs. 2 des Entwurfs dürfen jedoch sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung weder Blei, Quecksilber, Cadmium noch sechswertiges Chrom enthalten sein.
Ebenfalls sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung sollen 15 Gewichtsprozent des in einem Fahrzeug verwendeten Kunststoffs aus recycelten Verbraucher-Kunststoffabfällen stammen. Davon wiederum muss ein Viertel aus dem Kunststoff von Altfahrzeugen oder Abfallteilen aus Fahrzeugreparaturen gewonnen werden. Zwei Jahre später sollen 20 Gewichtsprozent des Kunststoffs Rezyklate sein, vier Jahre später 25 Gewichtsprozent.
Konstruktionsanforderungen
Fahrzeuge, die sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung typgenehmigt werden, müssen so konstruiert worden sein, dass die in Anhang VII Teil C des Entwurfs genannten Teile und Bauteile in Verwertungsanlagen entfernt werden können. Dies betrifft etwa alle Batterien, Motoren, Katalysatoren, Felgen, Reifen, Kabelbäume und Kraftstoffbehälter.
Herstellerpflichten
Die Einhaltung der Anforderungen ist der Typgenehmigungsbehörde durch entsprechende Dokumentationen in der Beschreibungsmappe während dem Typgenehmigungsprozess darzulegen.
Für jede Fahrzeugklasse ist darüber hinaus eine „Kreislauffähigkeitsstrategie“ zu erstellen und ebenfalls der Typgenehmigungsbehörde und zusätzlich der Kommission vorzulegen (siehe dazu Anhang IV Teil A des Entwurfs). Weiterhin vorgesehen sind verpflichtende Meldungen über den Rezyklatanteil der in Art. 10 aufgeführten Stoffe, Informationen des Herstellers an Abfallbewirtschafter, Reparatur- und Wartungsunternehmen zwecks Entfernung und Ersetzung von Teilen, Bauteilen und Werkstoffen (Art. 11) sowie unter Umständen deren Kennzeichnung (Art. 12).
Ausblick
Bei den hier beschriebenen Vorschlägen handelt es sich nur um einen Auszug. Im Rahmen des Trilogs sind weitere Änderungen zu erwarten. Aber weder Rat noch Parlament sprechen sich aktuell für einen weniger belastenden Ansatz aus. Zwar sind lange Umsetzungsfristen geplant – die Verordnung soll erst zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten gelten. Die aus ihr folgenden Anforderungen sind jedoch immens und verlangen industrielle Weitsicht.
Letzteres gilt nicht zuletzt auch für Automobilzulieferer. Diese sind zwar grundsätzlich keine unmittelbaren Adressaten der geplanten Regulierung, aber werden von Ihren Kunden mittelbar zur Mitwirkung verpflichtend werden (müssen).
Sowohl für Fahrzeughersteller als auch für deren Zulieferer ist es deshalb wichtig, die weitere Entwicklung des Vorschlags zu monitoren und schon jetzt Überlegungen zur Implementierung der Anforderungen die eigenen Prozesse anzustellen und zeitnah umzusetzen. Dabei hilft sowohl ein systematischer Ansatz zum Legal Monitoring als eine Gap-Analyse hinsichtlich der notwendigen Änderungen – auch im Hinblick auf die eigene Lieferkette.
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