Urteil des englischen High Court
Zu Beginn des Jahres hatten wir über die Auswirkungen eines ungeregelten Austritts des Vereinigten Königreichs (UK) aus der Europäischen Union (EU) auf bestehende Verträge berichtet (News reuschlaw). Dabei ging es um die Frage der Rechte der Vertragsparteien zur Anpassung oder Kündigung bzw. Auflösung eines Vertrages im Falle nachteiliger Auswirkungen infolge eines ungeregelten Austritts (sog. „harter Brexit“).
Nach dem englischen Recht kann hierbei unter Umständen die Anwendung der „doctrine of frustration“ in Betracht kommen. Diese greift ein, wenn ein bei Vertragsschluss unvorhersehbares Ereignis („frustrating event“) eintritt und es aufgrund dessen unmöglich ist, den Vertrag zu erfüllen, oder sich dadurch die Vertragspflichten radikal ändern. Folge der „doctrine of frustration“ ist die sofortige Beendigung des Vertrages.
Nun hat sich ein englisches Gericht mit der Frage befasst, ob die Auswirkungen eines ungeregelten Brexits ein „frustrating event“ darstellen.
Hintergrund
Hintergrund war ein bei dem Gericht anhängiges Verfahren zwischen der Canary Wharf (BP4) T1 Ltd. (nachfolgend „CW“) und der European Medicines Agency (EMA). Die Parteien hatten im Jahr 2011 einen Mietvertrag für ein Gebäude in London unterzeichnet, das von der CW gebaut wurde und in das die EMA nach Fertigstellung ihren Hauptsitz verlegte. Nach der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen, zeigte die EMA gegenüber der CW an, dass der Brexit (wenn und sobald er eintritt) ein „frustrating event“ darstellt und deshalb der Mietvertrag automatisch endet. Ursächlich für diese Mitteilung war, dass der Mietvertrag ohne Kündigungsmöglichkeit bis zum Jahr 2039 datiert war, die EMA als europäische Agentur ihren Hauptsitz jedoch innerhalb der EU haben muss. Bei Vollzug des Brexits müsste der Hauptsitz deshalb von London in die EU verlegt werden. Die EMA sah deshalb den mit dem Vertrag beabsichtigten Zweck (Nutzung des Gebäudes als Hauptsitz) im Falle des Brexits als nicht mehr gegeben an. CW klagte daraufhin auf die Feststellung, dass die Auswirkungen des Brexits kein „frustrating event“ darstellen.
Entscheidung des Gerichts
Der englische High Court folgte dieser Auffassung und lehnte die Einstufung der Auswirkungen eines (harten) Brexits als „frustrating event“ in diesem Fall ab.
Das Gericht führte hierzu aus, dass die Pflicht zur Verlegung des Hauptsitzes keine Auswirkungen auf die Erfüllung der Pflichten von EMA als Mieterin (Zahlung des Mietzinses) hat. Selbst wenn die Fortführung des Mietverhältnisses nach geltendem EU-Recht nicht möglich wäre, würde das Mietverhältnis dennoch unberührt bleiben, da es sich bei EU-Recht (zumindest nach dem Brexit) um ausländisches Recht handelt und dieses keinen Einfluss auf rechtmäßig unter englischem Recht geschlossene Verträge haben kann.
Darüber hinaus nahm der High Court auch dazu Stellung, ob der Wegfall des Vertragszwecks, den die Parteien bei Vertragsschluss beabsichtigt hatten, ausreicht, um ein „frustrating event“ auszulösen. Dies lehnte das Gericht ab, da sich im Vertrag keine Anhaltspunkte für einen beabsichtigten Zweck finden ließen. Stattdessen hatten die Parteien sogar ausdrücklich eine andere Verwendungsmöglichkeit des Gebäudes während der Vertragslaufzeit vorgesehen, insbesondere die Untervermietung.
Praxisauswirkung
Das Urteil kann zwar nicht unmittelbar auf andere Fälle übertragen werden und aufgrund der offen gelassenen Revision ist das Verfahren auch noch nicht abgeschlossen. Allerdings zeigt es, dass die Hürde für den Eintritt eines „frustrating events“ sehr hoch ist und mit gewichtigen Argumenten begründet werden muss. Hierzu müssen stets die Umstände des Einzelfalls betrachtet werden.
Um sich nicht auf den Eintritt eines „frustrating events“ verlassen zu müssen, sollte deshalb bei zukünftigen, bis zum Vollzug des Brexits noch abzuschließenden Verträgen eine Klausel (z.B. Hardship- oder Force-majeure-Klausel) aufgenommen werden, die die Möglichkeit der Anpassung oder Kündigung des Vertrags bei Vollzug des Brexits ermöglicht. Bei bereits bestehenden Verträgen, die eine solche Klausel nicht enthalten, sollte geprüft werden, ob und welche Regelungen bereits jetzt bezüglich des Umgangs mit den Auswirkungen eines ungeregelten Brexits (Zöllen, Importabgaben und Lieferverzögerungen) bestehen.
zurück