Das Ent­wick­lungs­ri­si­ko

Das Ent­wick­lungs­ri­si­ko als pro­dukt­haf­tungs­recht­li­cher Haftungsausschlusstatbestand 

Ein Her­stel­ler haf­tet nach dem Pro­dukt­haf­tungs­ge­setz (Prod­HaftG), wenn ein Mensch durch den Feh­ler eines Pro­dukts getö­tet oder ver­letzt wird bzw. wenn eine ande­re Sache als die feh­ler­haf­te beschä­digt wird. Dar­über hin­aus regelt das Prod­HaftG fünf Tat­be­stän­de, in denen die Haf­tung des Her­stel­lers aus­ge­schlos­sen sein soll. Einer davon ist das soge­nann­te Ent­wick­lungs­ri­si­ko, der dann vor­liegt, wenn der Her­stel­ler die Gefähr­lich­keit sei­nes Pro­dukts zum Zeit­punkt des Inver­kehr­brin­gens nicht erken­nen konn­te. Im Umkehr­schluss bedeu­tet dies, dass sich ein Her­stel­ler auf die­sen Aus­schluss­tat­be­stand nicht beru­fen kann, wenn das Feh­ler­ri­si­ko für ihn erkenn­bar war. Maß­stab für die­se Erkennt­nis soll nach dem Wil­len des Gesetz­ge­bers der Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik sein. Aber was genau ver­birgt sich hin­ter die­sem Rechtsbegriff?

Es han­delt sich hier­bei um einen soge­nann­ten unbe­stimm­ten Rechts­be­griff. Dies bedeu­tet, dass eine all­ge­mein­gül­ti­ge oder gesetz­li­che Defi­ni­ti­on nicht exis­tiert und der Begriff vom jewei­li­gen Rechts­an­wen­der aus­ge­füllt wer­den muss.

Im Jahr 1978 hat sich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) im Kalkar-I-Beschluss im Rah­men eines atom­recht­li­chen Sach­ver­halts erst­mals inten­siv mit dem Begriff aus­ein­an­der­ge­setzt und die­sen inhalt­lich geformt. Das BVerfG stell­te fest, dass der Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik stets die­je­ni­ge Siche­rungs­maß­nah­me for­de­re, die sowohl mit der tech­ni­schen als auch mit der wis­sen­schaft­li­chen Ent­wick­lung Schritt hält. Über­tra­gen auf die Her­stel­lung von Pro­duk­ten muss ein Her­stel­ler bei der Kon­zep­ti­on und Her­stel­lung sei­nes Pro­dukts somit auch berück­sich­ti­gen, was nach den neu­es­ten wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen für erfor­der­lich gehal­ten wird. Das Erfor­der­li­che fin­det daher aus­drück­lich kei­ne Gren­ze im tech­nisch Machbaren.

In einer Ent­schei­dung aus dem Jahr 2009 for­der­te auch der BGH für die Kon­zep­ti­on und Her­stel­lung eines Pro­dukts den Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik ein und kon­sta­tier­te, dass von der Mög­lich­keit der Gefahr­ver­mei­dung erst dann aus­ge­gan­gen wer­den kön­ne, wenn nach gesi­cher­tem Fach­wis­sen der ein­schlä­gi­gen Fach­krei­se prak­tisch ein­satz­fä­hi­ge Lösun­gen zur Ver­fü­gung ste­hen und ange­wandt wur­den, die eine sicher­heits­tech­nisch über­le­ge­ne Alter­na­tiv­kon­struk­ti­on dar­stel­len und zum Seri­en­ein­satz reif sind.

Über die kon­kre­te Fra­ge des Vor­lie­gens eines zum Haf­tungs­aus­schluss füh­ren­den Ent­wick­lungs­ri­si­kos hat­te jüngst das Land­ge­richt Frei­burg zu ent­schei­den. Beklagt wur­de der Her­stel­ler von Hüft­pro­the­sen, die nach der Implan­ta­ti­on bei dem Klä­ger zu Metall­ab­rieb und zu dar­aus fol­gen­den schwe­ren Gesund­heits­schä­den geführt hat­ten. Der Ver­such des Her­stel­lers, sich pro­zes­su­al auf ein Ent­wick­lungs­ri­si­ko zu beru­fen, schei­ter­te an der Tat­sa­che, dass die­ses Feh­ler­po­ten­zi­al zum Zeit­punkt des Inver­kehr­brin­gens der klä­ge­ri­schen Hüft­pro­the­se bereits wis­sen­schaft­lich nach­ge­wie­sen wor­den war und folg­lich vom Her­stel­ler hät­te erkannt wer­den können.

Bedeu­tung in der Praxis

Der für die Kon­zep­ti­on und Her­stel­lung von Pro­duk­ten maß­geb­li­che Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik darf kei­nes­falls mit der Bran­chen­üb­lich­keit ver­wech­selt oder mit dem gleich­ge­setzt wer­den, was sich in der Pra­xis durch­ge­setzt und bewährt hat. Gefor­dert wird somit weit mehr als die Anwen­dung von Nor­men, denen in der Pra­xis ins­be­son­de­re unter pro­dukt­si­cher­heits­recht­li­chen Gesichts­punk­ten gro­ße Rele­vanz zukommt. Denn die­se hin­ken dem tech­ni­schen Fort­schritt oft hin­ter­her und sind daher bes­ten­falls geeig­net, den Stand der Tech­nik abzu­bil­den. Der Her­stel­ler eines Pro­dukts ist daher trotz wett­be­werbs­be­ding­tem Inno­va­ti­ons­druck auf­ge­for­dert, wis­sen­schaft­li­che Sicher­heits­er­kennt­nis­se über sein Pro­dukt zu gewin­nen, die­se zu ana­ly­sie­ren und genü­gend zu erpro­ben. Umso wich­ti­ger ist es, ent­spre­chen­de Res­sour­cen für die Erkennt­nis­ge­win­nung recht­zei­tig ein­zu­pla­nen und die erfor­der­li­che Qua­li­tät von Pro­duk­ten ins­be­son­de­re im Rah­men einer Lie­fer­ket­te durch geeig­ne­te Qua­li­täts­si­che­rungs­pro­zes­se und ‑ver­ein­ba­run­gen abzu­si­chern. Denn die Beweis­last für das Vor­lie­gen eines Ent­wick­lungs­ri­si­kos trägt nach den all­ge­mei­nen Beweis­last­re­geln immer der Hersteller.

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