Die Reparierbarkeit von Produkten als Marktstandard
Durch die Implementierung eines Rechts auf Reparatur will die Europäische Kommission die nachhaltige Konstruktion und Fabrikation von Produkten auch „durch die Hintertür“ gesetzlich durchsetzbar verankern.
Der Green Deal ist ein umfassendes Maßnahmenpaket, das auf eine klimaneutrale und nachhaltige Wirtschaft gerichtet ist und unter anderem die längere Verwendbarkeit und Wiederverwertbarkeit von Produkten in den Fokus nimmt. Eine konkrete Ausprägung dieser Zielsetzung ist der aktuelle Vorschlag über eine Ökodesign-Verordnung, der neben der digitalen und zentralisierten Bereitstellung von Produktinformationen vor allem die Nachhaltigkeit von Produkten in Konstruktion und Bau fordert und reguliert. Flankiert wird dieses Gesetzesvorhaben durch weitere Regelwerke, wie zum Beispiel
- den Vorschlag für eine Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung und Waldschädigung stehen,
- den Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel, wonach Nachhaltigkeitsaussagen zur Bewerbung von Produkten nur noch in bestimmten Grenzen möglich sein sollen oder
- den hier dargestellten Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren.
Zielsetzungen des Vorschlags
Vorrangiges Ziel des Vorschlags ist die Stärkung des Verbraucherschutzniveaus auf dem Europäischen Binnenmarkt unter gleichzeitiger Förderung des „grünen Wandels“. Waren sollen nicht entsorgt werden, wenn sie noch weiterverwendet werden könnten. Die Harmonisierung ist nach Angaben der Kommission erforderlich, weil in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Rechte dieser Art bislang nur rudimentär über das gesetzliche Gewährleistungsrecht und überdies unterschiedlich ausgestaltet worden sind.
Anwendungsbereich
Der Vorschlag gilt für Verbraucherprodukte, die nicht vom gesetzlichen Gewährleistungssystem erfasst sind, beispielsweise, weil der Mangel zum Zeitpunkt der Lieferung an den Verbraucher noch nicht bestanden oder der gesetzlich oder vertraglich regulierte Gewährleistungszeitraum abgelaufen ist. Die Verpflichtung zur Reparatur erstreckt sich bislang auf 9 Produktgruppen, einschließlich Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen, Geschirrspüler und Kühlgeräten, aber auch elektronische Displays, Mobiltelefone und Schweißgeräte, die in Anhang II erfasst werden.
Verpflichtung zur Reparatur
Die Pflicht zur Reparatur trifft in erster Linie den (in der EU ansässigen) Hersteller, der auf Verlangen des Verbrauchers verpflichtet ist, die von dem Vorschlag regulierten Produkte unentgeltlich, entgeltlich oder gegen eine andere Art von Gegenleistung zu reparieren. Dieser Pflicht muss der Hersteller nicht persönlich nachkommen; er darf die Reparaturaufträge auch an Reparaturbetriebe delegieren. Nur wenn die Reparatur für ihn oder den Dritten unmöglich ist, besteht die Pflicht zur Reparatur nicht. Über das Recht zur Reparatur müssen die Hersteller Verbraucher in geeigneter Weise informieren. Reparaturbetriebe müssen vom Hersteller in die Lage versetzt werden, Zugang zu den erforderlichen Ersatzteilen sowie zu sonstigen reparaturbezogenen Informationen und Werkzeugen zu erhalten.
Sonstige adressierte Wirtschaftsakteure
Neben dem in der EU ansässigen Hersteller werden auch andere Wirtschaftsakteure von der Pflicht zur Reparatur erfasst. Hat der Hersteller seinen Sitz nicht in der EU, trifft die Verpflichtung dem Vorschlag gemäß seinen in der EU ansässigen Bevollmächtigten. Hat der Hersteller keinen Bevollmächtigten mandatiert, trifft die Verpflichtung den Importeur des Produkts oder, auf der letzten Stufe, den Händler.
Praktische Ausgestaltung
Dem Vorschlag gemäß werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, (mindestens) eine zentrale Online-Plattform einzurichten, die eine Filtersuche nach geeigneten, regionalen Reparaturbetrieben anhand der jeweiligen Produkte bzw. Produktgruppen zulassen muss. Die Registrierung auf der Online-Plattform ist für Reparaturbetriebe auf freiwilliger Basis möglich.
Darüber hinaus wird ein Europäisches Formular für Reparaturinformationen eingeführt, das dem Verbraucher vor Schluss des jeweiligen Reparaturvertrages zur Verfügung gestellt werden muss. Hierbei handelt es sich ausweislich des Entwurfs um ein Formblatt mit vorformulierten Vertragsbedingungen und Informationen zur Identität des Reparaturbetriebs, dessen Anschrift sowie Angaben
- zur Art des Mangels und der vorgeschlagenen Reparatur,
- zum Preis oder, wenn dies nicht möglich ist, zu dessen Kalkulation und Höchstgrenze,
- der voraussichtlichen Dauer der Reparatur und
- der Verfügbarkeit von Ersatzwaren während dieser Zeit.
An die Bedingungen ist der Reparaturbetrieb nach Aushändigung 30 Tage lang gebunden.
Zwingendes Recht, Durchsetzung und Sanktionen
Von den vorgenannten Vorgaben kann nicht – weder durch Vertrag noch durch den nationalen Gesetzgeber – abgewichen werden. Ein darüber hinausgehender Schutz hingegen ist jederzeit möglich. Verstöße gegen das Recht auf Reparatur, die Information darüber sowie gegen das Formular für Reparaturinformationen werden von den Mitgliedstaaten auf Basis der nationalen Transformationsgesetze sanktioniert.
Fazit
Derzeit befindet sich das Gesetzgebungsvorhaben noch in der Anfangsphase und wird als Nächstes im Europäischen Parlament und in dessen Ausschüssen erörtert. Wenn die Richtlinie in der derzeit vorgeschlagenen Fassung in Kraft tritt, muss sie innerhalb von 24 Monaten in allen Mitgliedstaaten in nationales Recht transformiert werden und damit verbindlich gelten.
Inhaltlich erfasst der Entwurf nur bestimmte, offenbar besonders reparaturrelevante Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Staubsauger sowie Produkte der Unterhaltungstechnik wie Mobiltelefone, Schnurlostelefone und Tablets. Es bleibt abzuwarten, ob und wann der sachliche Anwendungsbereich auf andere Produktgruppen erweitert und damit der Zirkelschluss zur neuen Ökodesign-Verordnung geschlagen wird. Für die Hersteller von Produkten bedeuten die neuen Regelungen auf der einen Seite neue (Kosten-)Risiken, die sich nur schwer antizipieren und in die Kalkulation einstellen lassen. Auf der anderen Seite können sich hieraus Chancen auf Folgegeschäfte mit neuen Service- und Dienstleistungsmodellen ergeben. Wir werden berichten.
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