Letztlich haben die Corona-Pandemie und das Wissen um die daraus resultierende Belastung aller Wirtschaftakteure der Healthcare-Branche geschafft, was zu Beginn des Jahres undenkbar schien: Der europäische Gesetzgeber hat sich dazu durchringen können, den Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 zu verschieben.
Für viele Wirtschaftsakteure stellt die Verschiebung einen dringend notwendigen Schritt dar, der es ermöglicht, Medizinprodukte noch weitere zwölf Monate unter Geltung der bekannten europäischen Richtlinien in Verkehr zu bringen. Gleichzeitig sind mit der Verschiebung des Geltungsbeginns nicht sämtliche Hürden auf dem Weg zur MDR-Compliance vom Tisch. So verkürzt sich beispielsweise die nach Artikel 120 MDR vorgesehene Übergangsfrist für die Toleranz von Medizinprodukten, die noch richtlinienkonform in Verkehr gebracht wurden, von vier auf drei Jahre. Am ursprünglichen Enddatum der Übergangsfrist (26. Mai 2024) hat das Moratorium nichts geändert.
Problematisch gestaltet sich derzeit auch die Unterstützung der Hersteller durch Benannte Stellen bei der Konformitätsbewertung neuer Produkte: On-Site-Audits scheiden aufgrund der Social-Distancing-Vorgaben nach wie vor noch bei vielen Herstellern aus. Gleichzeitig sieht die „Leitlinie zu vorübergehenden außerordentlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Prüfungen der Benannten Stelle für Medizinprodukte während COVID-19? vom 8. April 2020 gerade keine Fernaudits, weder für Neu-Zertifizierungen noch für Zertifizierungen zur Zweckerweiterung, vor. Je länger der Zeitpunkt für aufgrund des Lockdowns gecancelte On-Site-Audits nach hinten rückt, umso weiter verkürzt sich auch die Übergangsfrist.
Hinzu kommt die nach wie vor überschaubare Anzahl Benannter Stellen, die nach den Regeln der MDR akkreditiert sind. Das von der EU-Kommission erklärte Ziel, zum Jahresende 2019 bereits auf 20 akkreditierte Benannte Stellen zurückgreifen zu können, wurde klar verfehlt. Stand heute (8. Juni 2020) sind ausweislich der Nando-Datenbank gerade einmal 14 Stellen akkreditiert.
Von der Nutzbarkeit der Eudamed-Datenbank, eines zentralen Elements der MDR, ist ebenfalls frühestens zum 26. Mai 2022 auszugehen.
Nach wie vor fehlen notwendige Rechtsakte und Guidelines, die den Akteuren der Branche mehr Rechtssicherheit verschaffen könnten. So positiv die Verschiebung des Geltungsbeginns von Branchenvertretern und Wirtschaftsakteuren der Branche aufgenommen wurde, so klar ist auch, dass die Pandemie gleichzeitig auch nicht selten die „Verschiebung“ fest geplanter Zertifizierungstermine und Meilensteine auf dem Weg zum Inverkehrbringen neuer Produkte darstellt.
Für Hersteller heißt es umso mehr, Kurs zu halten und die notwendige MDR-Compliance von Unternehmen und Produkten nicht aus dem Fokus zu verlieren. Die „gewonnene“ Zeit sollte genutzt werden, die letzten Gaps zwischen Ist-Status nach MDD und Soll-Status nach MDR zu schließen.
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