Die europäische Industrienormung sowie die Vermutungswirkung harmonisierter Normen im Kontext der James Elliott Rechtsprechung des EuGH
Europarechtskonform oder nicht mehr haltbar?
Ab dem 15. Juni 2018 wird ein neues Verzeichnis von harmonisierten Normen unter der Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU (NSpRL) im Amtsblatt der Europäischen Kommission veröffentlicht, welches die bisher erschienenen Verzeichnisse ersetzt. Veröffentlicht werden die Fundstellen der jeweiligen Normen, der Inhalt der Normen muss kostenpflichtig bei den nationalen Normungsorganisationen erworben werden. In Deutschland ist dies der Beuth Verlag als Tochtergesellschaft des DIN Deutsches Institut für Normung e. V..
Ab dem Tag der Veröffentlichung der Fundstellen gilt für elektrische Betriebsmittel, die im Einklang mit den referenzierten Normen hergestellt wurden, die gesetzliche Vermutung, dass sie mit den wesentlichen Sicherheitszielen der NSpRL übereinstimmen. Für die Hersteller bedeutet dies, dass sie ihr jeweiliges Produkt mit einem CE-Zeichen versehen und guten Gewissens auf dem europäischen Markt bereitstellen können, da sie von der Konformität ihrer Produkte ausgehen dürfen.
Die Anwendung harmonisierter Normen erfolgt grundsätzlich auf freiwilliger Basis. Somit haben Hersteller die Möglichkeit, das von der NSpRL geforderte Sicherheitsniveau auch auf andere Weise sicherzustellen. Machen sie von dieser Möglichkeit Gebrauch, tragen sie im Schadensfall jedoch die Darlegungs- und Beweislast für die Konformität ihrer Produkte.
Spätestens seit der James Elliott Rechtsprechung des EuGH stellt sich jedoch die Frage, ob dieses Normungssystem noch haltbar ist und welche Konsequenzen sich hieraus für die Vermutungswirkung von harmonisierten Normen ergeben. Denn seit dem vorgenannten Urteil steht fest, dass harmonisierte Normen Teil des Unionsrechts sind und somit Rechtscharakter haben, woran auch die Tatsache, dass sie durch privatrechtliche Normungsorganisation erarbeitet werden, nichts ändert.
Somit stellt sich jedoch die grundlegende Frage, ob harmonisierte Normen – in diesem Beispiel zur NSpRL – in Konsequenz dieser Rechtsprechung vollständig und kostenfrei von der Europäischen Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden müssten, wie das sonstige Unionsrecht wie Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen auch. Hieran schließt sich die Rechtsfrage an, ob harmonisierte Normen mangels amtlicher Veröffentlichung überhaupt geeignet sind, eine Rechtswirkung in Form der Konformitätsvermutung zu entfalten, oder nicht.
Ausblick
Derzeit ist nicht absehbar, in welchem Kontext diese Fragestellungen die Justiz in Zukunft beschäftigen werden. Fest steht jedoch, dass das James Elliott Urteil geeignet ist, das bisherige System der Industrienormung grundlegend in Frage zu stellen und in der Konsequenz zu verändern. Hierüber werden wir zu gegebener Zeit berichten.
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