Eine Wirk­stoff­ge­neh­mi­gung macht noch (k)ein Biozidprodukt

Der EuGH äußert sich zur Trag­wei­te einer Geneh­mi­gung im Rah­men der Biozid-Verordnung

Kürz­lich hat­te der EuGH in der Rechts­sa­che C‑29/20 (Bio­fa) Gele­gen­heit, sich im Rah­men einer Vor­la­ge­fra­ge des OLG Köln zur Trag­wei­te einer Wirk­stoff­ge­neh­mi­gung bei der Qua­li­fi­zie­rung eines Pro­dukts als Bio­zid­pro­dukt auseinanderzusetzen.

Sach­ver­halt und Ausgangsverfahren

Die Bio­fa AG (Bio­fa) stellt Bio­zid­pro­duk­te her, die den Wirk­stoff “Kie­sel­gur” ent­hal­ten. Dem Geneh­mi­gungs­an­trag wur­de gemäß Art. 9 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-Verordnung) in Ver­bin­dung mit Art. 1 der Durch­füh­rungs­ver­ord­nung (EU) 2017/794 ent­spro­chen. Bio­fa ist die ein­zi­ge Her­stel­le­rin die­ses Wirk­stoffs. Die Sik­ma D. Ver­triebs GmbH und Co. KG (Sik­ma) ver­treibt ein Pro­dukt, das den­sel­ben Wirk­stoff ent­hält, bezieht die­sen Wirk­stoff jedoch nicht bei Bio­fa. Dar­auf­hin erhob Bio­fa vor dem LG Köln Kla­ge auf Unter­las­sung unlau­te­ren Wettbewerbs.

Bereits im erst­in­stanz­li­chen Ver­fah­ren strit­ten die Par­tei­en dar­um, ob der Anwen­dungs­be­reich der Biozid-Verordnung eröff­net sei. Nach Ansicht von Sik­ma sei die Ver­wen­dung des Wirk­stoffs irrele­vant, da er in deren Pro­dukt nicht ledig­lich phy­si­ka­lisch oder mecha­nisch wir­ke. Somit sei jeden­falls eines der Tat­be­stands­merk­ma­le eines Bio­zid­pro­dukts nicht erfüllt.

Im Beru­fungs­ver­fah­ren setz­te sich das OLG Köln mit den Vor­aus­set­zun­gen des Art. 3 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 Bio­zid­ver­ord­nung aus­ein­an­der und leg­te dem EuGH eine Vor­la­ge­fra­ge vor, die sich ver­ein­facht zusam­men­fas­sen lässt: “Ist ein Pro­dukt bereits dann ein Bio­zid­pro­dukt, wenn es einen auf­grund einer Durch­füh­rungs­ver­ord­nung geneh­mig­ten Wirk­stoff enthält?”

Grund­sätz­lich müs­sen alle Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sein

Erwar­tungs­ge­mäß knüpft der EuGH an die Aus­füh­run­gen in der Rechts­sa­che C‑592/18 (Darie) an und stellt klar, dass die Vor­aus­set­zun­gen des Art. 3 Abs. 1 lit. a) kumu­la­tiv erfüllt sein müs­sen. Ein Pro­dukt ist also wei­ter­hin grund­sätz­lich nur dann ein Bio­zid­pro­dukt, wenn – ver­ein­facht dargestellt –

  • es einen Stoff oder ein Gemisch ent­hält, der oder das einen Wirk­stoff enthält,
  • der Wirk­stoff nicht bloß phy­si­ka­lisch oder mecha­nisch wirkt und
  • der Wirk­stoff dazu bestimmt ist, Schad­or­ga­nis­men zu bekämpfen.

“Gewich­ti­ge Anhalts­punk­te”, Trag­wei­te und Indi­z­wir­kung der Wirkstoffgenehmigung

Der EuGH setzt die Vor­aus­set­zun­gen aller­dings in einen wei­ten Kon­text und stellt im Rah­men der Aus­le­gung sowohl einen Bezug zur Sys­te­ma­tik als auch zu den Zie­len der Bio­zid­ver­ord­nung her.

Die Defi­ni­ti­on eines “Wirk­stoffs” in Art. 3 Abs. 1 lit. c stellt nur auf die stoff­li­che Zusam­men­set­zung, nicht aber auf die Wir­kungs­wei­se ab. Gleich­zei­tig setzt die Ein­stu­fung als Bio­zid­pro­dukt eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Wir­kung vor­aus. Aus die­sem Grund wer­den bei­de Aspek­te im Rah­men des Geneh­mi­gungs­ver­fah­rens berück­sich­tigt (Art. 4 Abs. 1): eine Wirk­stoff­ge­neh­mi­gung erfolgt nicht iso­liert, son­dern (auch) pro­dukt­be­zo­gen. Einem Geneh­mi­gungs­an­trag muss zusätz­lich ein Dos­sier für min­des­tens ein reprä­sen­ta­ti­ves Bio­zid­pro­dukt bei­gefügt sein, in dem der zu geneh­mi­gen­de Wirk­stoff ent­hal­ten ist (Art. 6 Abs. 1).

Der EuGH stell­te den Bezug zwi­schen der Geneh­mi­gung und der Defi­ni­ti­on eines Bio­zid­pro­dukts her. Die Zusam­men­set­zung des reprä­sen­ta­ti­ven Bio­zid­pro­dukts ent­schei­de über die Ein­stu­fung ande­rer Pro­duk­te als Bio­zid­pro­duk­te. Es lie­fe den Har­mo­ni­sie­rungs­zie­len der Ver­ord­nung zuwi­der, wenn ein Wirk­stoff einer­seits in einem reprä­sen­ta­ti­ven Bio­zid­pro­dukt geneh­migt wür­de, es aber gleich­zei­tig mög­lich wäre, dass ein Pro­dukt mit iden­ti­scher Zusam­men­set­zung kein Bio­zid­pro­dukt sei. Aus dem Urteil lässt sich somit fol­gen­de Abstu­fung ableiten:

  • ist die Zusam­men­set­zung eines Pro­dukts mit der­je­ni­gen eines geneh­mig­ten reprä­sen­ta­ti­ven Bio­zid­pro­dukts iden­tisch, dann ist das Pro­dukt (unab­hän­gig von den übri­gen Vor­aus­set­zun­gen) ein Biozidprodukt;
  • ent­hält ein Pro­dukt einen geneh­mig­ten Wirk­stoff, bestehen ledig­lich Anhalts­punk­te dafür, dass es sich um ein Bio­zid­pro­dukt han­delt. Das bedeu­tet ins­be­son­de­re, dass die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen des Art. 3 Abs. 1 lit. a) vor­lie­gen müssen.

Fazit

Das Urteil stellt Markt­ak­teu­ren im Anwen­dungs­be­reich der Bio­zid­ver­ord­nung ein greif­ba­res Abgren­zungs­kri­te­ri­um zur Ver­fü­gung. Gleich­zei­tig wer­den Betrof­fe­ne künf­tig stär­ker auf die Zusam­men­set­zung ihrer Pro­duk­te ach­ten und einen Abgleich mit den Geneh­mi­gungs­dos­siers vor­neh­men müs­sen. Wird anhand die­ser Prü­fung eine iden­ti­sche Zusam­men­set­zung fest­ge­stellt, kann nicht mehr unter Ver­weis auf die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen des Art. 3 Abs. 1 lit. a) argu­men­tiert wer­den, dass ein Pro­dukt kein Bio­zid­pro­dukt sei.

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