Medi­zin­pro­duk­te – BGH zu Pro­dukt­feh­lern an Hüftprothesen

Aus­gangs­la­ge

Im Jahr 2007 war der Klä­ge­rin eine von der Beklag­ten her­ge­stell­te Hüft­to­tal­en­do­pro­the­se („künst­li­ches Hüft­ge­lenk“) implan­tiert wor­den. Etwa vier Jah­re nach der Implan­ta­ti­on muss­te die Hüft­pro­the­se aus­ge­tauscht wer­den. Grund hier­für war eine Fehl­funk­ti­on der Pro­the­se, aus­ge­löst durch den Bruch einer in der Pro­the­se ver­bau­ten Pfanne.

Die Klä­ge­rin sah in der defek­ten Pfan­ne einen Pro­dukt­feh­ler der Hüft­pro­the­se und ver­lang­te Scha­dens­er­satz von der Medi­zin­pro­dukte­her­stel­le­rin. Nach Ansicht des BGH stand der Klä­ge­rin der gel­tend gemach­te Anspruch auf Scha­dens­er­satz aber weder nach den Regeln der Gefähr­dungs­haf­tung gemäß §§ 1, 3, 8, 9 Prod­HaftG noch nach der Delikts­haf­tung aus § 823 Abs. 1 BGB zu.

Pro­dukt­feh­ler – ja oder nein?

Um eine mög­li­che Feh­ler­haf­tig­keit der Hüft­pro­the­se fest­zu­stel­len, zog der BGH zunächst die gän­gi­gen Feh­ler­be­grif­fe her­an. Die nach dem Pro­dukt­haf­tungs­ge­setz maß­geb­li­chen Sicher­heits­er­war­tun­gen beur­tei­len sich grund­sätz­lich nach den­sel­ben objek­ti­ven Maß­stä­ben wie die Ver­kehrs­pflich­ten des Her­stel­lers im Rah­men der delikt­i­schen Haf­tung. Des­halb kann gene­rell auf Fabrikations‑, Konstruktions- und Instruk­ti­ons­feh­ler, die im Rah­men der delikt­i­schen Pro­dukt­haf­tung die kon­kre­ten Ver­kehrs­pflich­ten kate­go­ri­sie­ren, abge­stellt wer­den. Nach Auf­fas­sung des BGH war im kon­kre­ten Fall das Vor­lie­gen eines Fabri­ka­ti­ons– , Produktions- oder Instruk­ti­ons­feh­lers zu ver­nei­nen. Die Her­stel­le­rin hat­te nach Ein­schät­zung des BGH die ihr oblie­gen­den Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten im Hin­blick auf die Pro­dukt­si­cher­heit ein­ge­hal­ten. Von der im Rah­men der Pro­du­zen­ten­haf­tung gel­ten­den Beweis­last­um­kehr zuguns­ten des Geschä­dig­ten konn­te die Klä­ge­rin im vor­lie­gen­den Fall aber nicht profitieren.

Poten­zi­el­ler Serienfehler?

Das Gericht hat sich zudem – den Grund­sät­zen des so genann­ten „Feh­ler­ver­dachts­ur­teils“ des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH, NJW 2015, 1163) fol­gend – mit der Fra­ge beschäf­tigt, ob die Hüft­pro­the­se an einem poten­zi­el­len Seri­en­feh­ler leidet.

Bei Medi­zin­pro­duk­ten höhe­rer Risi­koklas­sen wird ein Pro­dukt­feh­ler nach § 3 Abs. 1 Prod­HaftG bereits dann bejaht, wenn bei einer signi­fi­kan­ten Anzahl von Pro­duk­ten der­sel­ben Pro­dukt­grup­pe oder Pro­duk­ti­ons­se­rie eine Fehl­funk­ti­on auf­ge­tre­ten ist. Die Anfor­de­run­gen an die Sicher­heit von bestimm­ten Medi­zin­pro­duk­ten wer­den als beson­ders hoch erach­tet, da sich aus einem poten­zi­el­len Pro­dukt­feh­ler ein außer­ge­wöhn­lich hohes Scha­dens­po­ten­zi­al für betrof­fe­ne Per­so­nen ergibt. Danach begrün­det ein Feh­ler bei ande­ren Pro­duk­ten der­sel­ben Pro­dukt­grup­pe oder Pro­duk­ti­ons­se­rie einen gefes­tig­ten Feh­ler­ver­dacht beim kon­kre­ten Pro­dukt, des­sen Feh­ler­haf­tig­keit dann nicht eigens bewie­sen wer­den muss, son­dern ver­mu­tet wird.
Der BGH ging im kon­kre­ten Ver­fah­ren aber auch nicht vom Vor­lie­gen eines poten­zi­el­len Seri­en­feh­lers aus. Hier­zu betrach­te­te er die Bruch­ra­te von Kera­mik­in­lays mit einer Grö­ße von 36 mm und zog dar­aus einen Ver­gleich zu Kera­mik­in­lays aller Grö­ßen. Dabei lie­ßen sich zwar mar­gi­na­le Unter­schie­de fest­stel­len, die jedoch kei­ne Beach­tung fin­den konn­ten. Es dür­fe nur auf die­je­ni­gen Tei­le ankom­men, die mit dem kon­kre­ten Pro­dukt in Grö­ße, Mate­ri­al und Bau­wei­se ver­gleich­bar sei­en, da sonst nicht von der­sel­ben Pro­dukt­grup­pe aus­ge­gan­gen wer­den kön­ne. Zudem war die Bruch­ra­te an sich so gering, dass sie zur Annah­me eines Seri­en­feh­lers nicht aus­reich­te. Unab­hän­gig von die­sen Erwä­gun­gen muss­te aus Sicht des BGH die Haf­tung der Her­stel­le­rin auch dar­an schei­tern, dass selbst bei einem unter­stell­ten poten­zi­el­len Seri­en­feh­ler die­ser nicht ursäch­lich für die ein­ge­tre­te­ne Kör­per­ver­let­zung der Klä­ge­rin gewe­sen wäre. Auf die Fra­ge, ob die Recht­spre­chung des EuGH über­haupt auf Hüft­pro­the­sen als ähn­li­che medi­zi­ni­sche Pro­duk­te wie z. B. Defi­bril­la­to­ren über­trag­bar ist, ging der BGH bei sei­ner Ent­schei­dung nicht ein. Hier­zu ver­tre­ten die Gerich­te aktu­ell unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen. Medi­zin­pro­dukte­her­stel­ler kön­nen mit wei­te­ren Ent­wick­lun­gen zu die­sem The­ma rechnen.

Fazit

Das Urteil ist für Medi­zin­pro­dukte­her­stel­ler grund­sätz­lich posi­tiv. Es zeigt, dass eine im Zuge des Feh­ler­ver­dachts­ur­teils befürch­te­te undif­fe­ren­zier­te Recht­spre­chung zu Las­ten der Her­stel­ler nicht zwin­gend ist. Es heißt auch, dass ein funk­tio­nie­ren­des Qua­li­täts­ma­nage­ment geeig­net ist, den eige­nen Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten zu genü­gen und so Haf­tungs­ri­si­ken als Her­stel­ler zu minimieren.

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