Für die Qualifikation von Software als Medizinprodukt ist es nicht relevant, ob diese unmittelbar im oder am Körper wirkt. Entscheidend sind allein Zweckbestimmung und Funktionalität der Software.
Hintergrund
Als Medizinprodukte gelten gemäß Art. 1 Abs. 2a der Richtlinie 93/42/EWG solche Gegenstände sowie Software, die vom Hersteller für medizinische Zwecke bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper (…) erreicht wird. Der EuGH hat nun darüber entschieden, ob die Wirkung im oder am Körper zwingende Voraussetzung für die Einstufung als Medizinprodukt ist und dies mit Urteil vom 07.12.2017 – C329/16 verneint.
Gegenstand der Entscheidung war eine Software, die die Verschreibung von Arzneimitteln unterstützt. Sie nutzt Patientendaten, um den Arzt bei der Entscheidung für oder gegen das Verschreiben bestimmter Medikamente zu unterstützen. Dazu werden u.a. Kontraindikation, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festgestellt.
Der EuGH stützt seine Entscheidung auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 2a der Richtlinie. Danach ist für die Einstufung als Medizinprodukt der Bestimmungszweck des Herstellers maßgeblich. Gemessen daran verfolgt die Software zur Unterstützung der Verschreibung von Arzneimitteln einen spezifisch medizinischen Zweck. Der EuGH stellt aber auch klar, dass dies nicht für jede Software gilt, die im Gesundheitssektor eingesetzt werden soll. Die Software muss über den Bestimmungszweck hinaus eine medizinische Funktionalität aufweisen. Das heißt, sie muss Daten zu medizinischen Zwecken nutzen. Das ist zu bejahen, wenn Daten angelegt oder geändert bzw. Berechnungen, Quantifizierungen und Vergleiche vorgenommen werden. Der EuGH grenzt diese medizinische Funktionalität von einer bloßen Speichersoftware ab. Archiviert, sammelt oder überträgt eine Software Daten, erweist sie sich als bloße Datenbank. Ohne auf Daten einzuwirken oder diese zu interpretieren, fehlt ihr ein medizinischer Bezug. Es handelt sich in diesen Fällen nicht um ein Medizinprodukt im Sinne der Richtlinie.
Der EuGH hält fest, dass der Unionsgesetzgeber sich bei der Einstufung von Software als Medizinprodukt auf den Verwendungszweck der Software konzentrieren wollte. Dies erleichtert den Herstellern die Einschätzung, ob ihre Software als Medizinprodukt einzuordnen ist. Was simpel klingt, kann aber auch Risiken bergen. Zwar stellt der EuGH fest, dass die Richtlinie keine Anwendung findet, wenn die Software für allgemeine Zwecke konzipiert ist. Allerdings ist zu beachten, dass den Herstellern der Nachweis obliegt, wozu die Software bestimmt ist. Zeichnet sich eine Verwendung im medizinischen Bereich ab, ist die Anwendbarkeit der Richtlinie genau zu prüfen.
Software nach der Medical Device Regulation (MDR)
Auch nach der MDR, die seit Mai 2017 in Kraft ist und nach einer Übergangsfrist von drei Jahren die Richtlinie 93/42/EWG ablösen wird, gilt Software, die der Vorhersage oder Prognose von Krankheiten dient als Medizinprodukt. Dies macht die Begriffsdefinition der MDR noch deutlicher. Es bleibt dabei, dass Software weiter als aktives Medizinprodukt einzustufen ist, aber auch Zubehör sein kann. Nach der neuen Klassifizierungsregel 11 fällt Software, die dazu gedacht ist, Informationen zur Verfügung zu stellen, die wiederum genutzt werden, um Entscheidungen mit Bezug zu Diagnosen oder Behandlungen zu treffen, in die Klasse IIa. Könnte sie direkt oder indirekt den Tod oder irreversible schwere Gesundheitsstörungen verursachen, ist sie sogar der Risikoklasse III zuzuordnen; können ernste Gesundheitsstörungen oder Operationen verursacht werden, gilt Klasse IIb.
Auch nach der MDR gilt aber, dass Software, die ein anderes Medizinprodukt kontrolliert oder beeinflusst, in die gleiche Klasse wie das Medizinprodukt fällt und dass so genannte Standalone Software individuell zu klassifizieren ist.
Handlungsempfehlung
Softwarehersteller müssen sich darüber im Klaren sein, dass medizinische Software unter Umständen als Medizinprodukt eingestuft werden kann. Entscheidend ist allein die Zweckbestimmung des Herstellers. Künftig müssen Hersteller ihre Software MDR-compliant gestalten und dabei die Klassifizierungsregeln beachten um eigene Haftunsgrisiken zu vermeiden.
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